Der ursprüngliche Beitrag von aspekte vom 18.11.2011 mit dem Schriftseller Steven Uhly zum Thema „Angstzone Ostdeutschland“ ist nicht wirklich ein gelungener Beitrag. Dies hatte ich bereits in meinem ersten Blogpost zu diesem Thema erörtert. Der Beitrag hat sehr viele Menschen empört. Natürlich vornehmlich Bewohner der „Angstzone“, wie es Herr Uhly nennt. Aber auch Stimmen aus „Westdeutschland“ und auch Stimmen ausländischer Mitbürger wurden laut in den vielen Kommentaren auf den unterschiedlichen Platformen.

Mit diesem Feedback hatte die aspekte-Redaktion wohl nicht gerechnet. Hunderte Menschen teilten mit ihren Postings auf der Facebook-Seite von aspekte den Verantwortlichen ihre Meinung zum Beitrag mit. Der Druck auf die Redaktion wurde grösser und in den Abendstunden des 23.11.2011 veröffentlichte Frau Anna Riek, eine Mitarbeiterin der Aspekte Redaktion eine Stellungnahme. Damit hätte man die Gelegenheit nutzen können, offensichtlich schlechte Recherche und einseitige Berichterstattung einzugestehen. Diese Chance wurde mAn jedoch nicht wirklich genutzt und aus diesem Grund habe ich die Stellungnahme entsprechend kommentiert.

Auch am Folgetag, dem 24.11.2011, riss die Empörungswelle nicht ab. Etliche weitere Kommentare auf der Facebook-Seite von aspekte sowie unter den diversen Blogposts zum Thema machten klar, dass man mit dem Beitrag und auch mit der Stellungnahme so nicht einverstanden ist.

Auch ich führte einige Dialoge via Twitter, in Blogkommentaren oder auch via Google+. Dort wurde auch Kritik laut. Kritik an meinen beiden Blogposts aber auch allgemein an der Empörung der „Ostdeutschen“. Man verkenne das Thema und beschönige die rechtsradikalen Strukturen im „Osten“ Deutschlands. Überall habe ich in den Dialogen klar zu verstehen gegeben, dass es keineswegs darum geht, zu behaupten, in Jena oder in „Ostdeutschland“ gäbe es keine Probleme mit rechtem Gedankengut. Weiterhin stelle ich an dieser Stelle auch noch einmal ganz klar und deutlich heraus, dass auch die Taten dieser Gruppierungen in keiner Weise beschönigt werden sollen. Dieses Thema ist existent, dieses Thema ist wichtig und dieses Thema muss aufgearbeitet werden. Aber sicherlich nicht von Jena oder „Ostdeutschland“ allein. Denn dieses Thema ist ein gesamtdeutsches (wenn nicht sogar ein globales) Thema.

Einer der Punkte, die mich in dieser Diskussion massiv aufregen und vielmehr noch, der mich sehr traurig stimmt: nach 21 Jahren in einem geeinten Deutschland gibt es noch immer diese Mauern in den Köpfen. Gibt es noch immer diese pauschalen Vorurteile über „Ossis“ und „Wessis“. Ja, ich meine auch explizit den umgekehrten Fall, dass „Wessis“ pauschal verurteilt werden. Allein schon die Tatsache, dass in den Medien und speziell in dieser Diskussion mit eben solchen Begrifflichkeiten agiert wird wie „Ostdeutschland“, Westdeutschland“, „Ossis“ und „Wessis“ ist unglaublich.

Was mich jedoch am meisten aufregt ist, dass durch den aspekte-Beitrag und durch das dadurch erzeugte Bild, die Vorurteile weiter geschürt und aufgebaut werden. Dass durch das Zeichnen eines solchen Bildes die Spaltung des Landes weiter voran schreitet. Und das ein solcher Beitrag eben nicht von einem Boulevard-Sender kommt sondern von einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt.

Nachdem nun die Stellungnahme – wie ich finde – die ganze Sache noch weiter ver- statt entschärft hat, hat sich der Chef der aspekte-Redaktion gedacht, er kümmert sich und nimmt die Sache selbst in die Hand. Hat er dann auch getan und zwar in Form einer Video-Antwort, welche in der ZDF-Mediathek anzuschauen ist. Gern will ich aber aus dieser Video-Antwort von Herrn Läpple zitieren:

Den Beitrag beginnt Herr Läpple mit einem Goethe-Zitat über Jena

Ach mein liebes, närrisches Nest

und erläutert dann, dass Jena bereits früher ein sehr rebellischer Ort war und noch heute ist. Fortfahrend führt Herr Läpple auf:

Die Wut und die Empörung richtet sich in diesen Tagen gegen uns, gegen aspekte. Gegen einen Beitrag, in dem wir den Schriftsteller Steven Uhly gebeten haben, sich die Situation anzusehen in Ostdeutschland, nach den bekannt gewordenen Morden der Neo-Nazis.

Die Bürger Jenas sind empört. Sie haben eine öffentliche Resolution verfasst in der es heisst, der Beitrag wirkt imageschädigend für die Menschen, die Wirtschaft, die Kultur, die Wissenschaft – ergo für die gesamte Stadt Jena.

Wir wissen sehr wohl, dass Jena eine liberale, weltoffene Universitätsstadt ist, in der Toleranz gross geschrieben wird. In der sogar der Bürgermeister, der Oberbürgermeister der Stadt vor kurzem den Preis für Zivilcourage verliehen bekommen hat.

Aber es ging uns nicht um Jena. Es geht uns um das Lebensgefühl von Menschen, die Deutsche sind, aber nicht deutsch aussehen. Es geht uns um Leute wie Steven Uhly.

Zwei Fragen sind es: Wie war es möglich, dass in Jena die Kameradschaft Jena aufgebaut wurde, die später diese Mordserie in Bewegung gesetzt hat. Und die zweite, viel wichtigere Frage ist die: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?

Für Steven Uhly ist die Frage eine existenzielle. Er sagt, er fühle sich nicht sicher, er habe Angst in Ostdeutschland. Die Bürger Jenas haben gleichfalls Angst. Sie fürchten um ihren guten Ruf.

In dieser Situation muss man sich zusammensetzen. Deshalb planen wir gemeinsam mit den Verantwortlichen in Jena eine öffentliche Veranstaltung, die, so hoffe ich, noch in diesem Jahr stattfinden wird, damit wir über all die Punkte reden können.

Dieses Statement hört sich gut an. Der Versuch, zu erklären worum es geht und die Einsicht, dass man reden muss. Zudem die Aussicht auf eine Veranstaltung, in welcher die verschiedenen Sichtweisen offenbar diskutiert werden können. In Dialog treten finde ich immer gut.

Natürlich stellt sich mir die Frage, warum man von dem, was man laut dieser Aussage eigentlich zeigen wollte, in dem Ursprungsbeitrag nicht wirklich etwas sieht. Mir stellt sich auch immer noch die Frage, woher diese Angst kommt und warum der Bericht den Eindruck vermittelt, es gäbe nur sie, nur diese Angst hier in Jena und in ganz „Ostdeutschland“. Auch frage ich mich weiterhin, warum eine Person, welche Angst hat, weil sie „nicht deutsch“ aussieht, so eine Intoleranz an den Tag legt und einen Teil Deutschlands vollkommen unberechtigt als „Angstzone“ abstempelt.

Aber gut, dachte ich mir, man will in den Dialog eintreten. Offenbar ist man bereits in Gesprächen mit Menschen aus Jena und plant eben die genannte Veranstaltung. Es geht der aspekte-Redaktion also doch um die Sache, die Fakten, das Gespräch. Die Frage – wie Herr Läpple vollkommen richtig sagt – die viel wichtigere Frage ist: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? Eine gute Frage. Eine wirklich wichtige Frage. Vielleicht hat man erkannt, dass der Beitrag nicht dazu beiträgt, dass eben dieses gemeinsame Zusammenleben vorangetrieben wird, sondern vielmehr blockiert. Alles richtig gemacht, und die Situation gut gemeistert!

Doch dann zeigt Herr Läpple, worum es wirklich geht. Er hat es in seiner Ansprache auch gesagt. „Es geht uns um Leute wie Steven Uhly„. Nur meinte er damit etwas anderes, als ich es zuerst verstanden hatte. Was bzw. wie er es meinte, macht er zum Ende seiner Video-Botschaft deutlich. Denn nach der Ankündigung dieser gemeinsamen Veranstaltung um über alles zu reden endet er mit den Worten:

Bis dahin eine Literaturempfehlung. Adams Fuge von Steven Uhly. Ein Roman, der die Wirklichkeit vorweg genommen hat.

Dabei hält er das besagte Buch formatfüllend in die Kamera. Ende des Videos.

Ich habe das Video nun mehrfach angesehen und es hat einige Zeit gedauert, bis ich dieses Ende realisieren konnte. Verstehen tue ich es bis jetzt nicht. Wenn es aspekte doch um die Sache geht, um die Ängste von Bürgern, wozu dann diese plakative Werbung für dieses Buch? Wie bitte soll ich eine Redaktion eines öffentlich-rechtlichen Senders ernst nehmen, wenn sehr klar und deutlich der Eindruck vermittelt wird, dass es eben gerade nicht um die Menschen geht, nicht um die Ängste, sondern offensichtlich nur um einen Roman und dessen zu steigernde Öffentlichkeitswirksamkeit – neudeutsch Publicity.

Die Art und Weise, wie Herr Läpple am Ende seiner Ansprache, wie wenn nichts gewesen ist, zu diesem Buch greift und eine Literaturempfehlung ausspricht grenzt mAn an eine Verhöhnung all derjenigen, welche sich über den Ausgangsbeitrag empört haben und die einseitige und realitätsferne Berichterstattung beanstanden.

Sagen Sie, werter Herr Läpple, ist dies Ihre Aufassung von unabhängigem Journalismus und offener Berichterstattung?

Und Sie, Herr Uhly, ist es Ihnen nicht etwas peinlich, mit einem solchen Thema und einer solchen Intoleranz Werbung für Ihr Buch zu machen? Reichen da fachliche Fakten und die Qualität Ihres Werkes nicht aus?

Ich habe mich sehr bemüht, in meinen beiden bisherigen Blogposts die Thematik sachlich zu betrachten und ebenso darzulegen. Dies fällt mir nach dem gesehen Video leider äusserst schwer, denn Ihren – wie ich ursprünglich glaubte – journalistischen Anspruch spreche ich Ihnen nunmehr ab.

 

Update 1 – 25.11.2011: Herr Uhly und Herr Läpple kennen sich bereits länger.

Update 2 – 25.11.2011: Mein Kurz-Statement zum Gespräch zwischen Uhly und Läpple, in welchem er im Übrigen auch erläutert, warum er, Uhly, eben anders ist als Sarrazin.

Update 3 – 25.11.2011: Zwischenzeitlich hat aspekte auf seiner Facebook-Seite den Termin für die öffentliche Podiumsdiskussion bekannt gegeben. Am 05.12.2011 um 20 Uhr findet diese im Theaterhaus Jena statt. Bisher stehen der Jenaer OB Dr. Schröter sowie aspekte-Chef Läpple als Diskussionsteilnehmer fest.

Weiterhin ist für den 02.12.2011 ein Konzert gegen Rechts angekündigt. Unter anderem werden Udo Lindenberg, Peter Maffay, Silly und Julia Neigel als Künstler auftreten. Am LineUp werde aber noch gearbeitet und man informiert über weitere teilnehmende Künstler und Details, laut Info auf der Webseite von Udo Lindenberg.

Update 4 – 28.11.2011: Soeben habe ich ein Interview von digitalfernsehen.de mit Herrn Läpple entdeckt. In diesem bessert er das Bild, welches sich für mich  in den bisherigen Reaktionen der Redaktion gezeigt hat, nicht wirklich. Folgende Aussage im Interview z.B. ist für mich wenig glaubhaft:

Warum kamen in dem Beitrag keine weiteren Personen mit Migrationshintergrund zu Wort?

Läpple: Wir hatten mehrere Jenaer mit Migrationshintergrund – ist das nicht ein unglücklicher Begriff? – um ein Interview gebeten. Sie haben leider alle abgelehnt. Beispielhaft war die Antwort eines kurdischen Dönerladen-Besitzers. Er sagte: seine Geschäfte liefen gut. Viele Studenten, auch Rechte wären seine Kunden. Er fühle sich in der Stadt sehr wohl, nur vor einer Kamera wolle er dies nicht sagen, das könnte für sein Geschäft negative Folgen haben.

Ein „kurdischer Dönerladenbesitzer“ fühlt sich also in der laut dem Beitrag vom 18.11.2011 gefährlichen Stadt, ja dem gefährlichen „Ostdeutschland“ wohl und sogar „Rechte“ sind seine Kunden? Dann kann es mit der Gefährlichkeit ja doch nicht so schlimm sein. Und die braunen Gesinnungsträger stellen sich also bei ihrem Feindbild direkt mit ihrer Gesinnung vor, oder woher weiss er, dass er auch „Rechte“ als Kunden hat? Und was genau führt nun zu negativen Folgen für sein Geschäft? Das seine Geschäfte gut laufen? Das er „Rechte“ als Kunden hat? Ziemlich wirr, wie ich finde. Und dass man mehrere Jenaer mit „Migrationshintergrund“ angefragt habe und Ablehnung erhalten habe kann ich ebenso wenig glauben. Denn die aktuelle Aktion von Jenapolis zeigt da ein anderes Bild.

„Aspekte“-Sendung: In Jena soll jetzt diskutiert werden

Update 5 – 28.11.2011: Das Internetportal „Der Westen“ (gehört zu WAZ-Gruppe) hat sich nun auch der Thematik angenommen.

Jena fühlt sich vom ZDF „bösartig verleumdet“

 

weitere Artikel zum Thema und zum Videobeitrag:

“aspekte” reagiert auf Jenas Kritik: Nach dem Beitrag ist vor der Recherche?

ZDFs “aspekte”: Todeszone Ostdeutschland

Aspekte entschuldigt sich bei Jenaern … mit Werbung

Einseitige “aspekte” im Öffentlich-Rechtlichen

Aha. ZDF aspekte antwortet auf den Zorn der Jenaer Bürger.

Google+ Post von Rainer Sokoll

Verstehen und Missverstehen – Am Beispiel Jena und ZDF

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