Die Piratenpartei – von vielen belächelt, ist sie spätestens seit dem Einzug in den Berliner Senat und allerspätestens seit ihrem Einzug in den Landtag im Saarland für die „etablierten“ Parteien etwas, bei dem man während dem Lächeln bereits Gedanken anstrengt, wie man es denn wieder los wird.

Warum Menschen die Piratenpartei wählen kann viele Gründe haben. Für nicht wenige Wähler wird wohl das zutreffen, was @dieliebenessy in Ihrem Artikel „Liebe Generation meiner Eltern“ schreibt.

In vielen Artikeln, Beiträgen, Tweets… oft liest man, die Piraten hätten ja eigentlich keine Ahnung, kein Programm und sind ja eh nur Protestpartei. Wie so oft im Leben, wird auch an diesen Behauptungen etwas dran sein. Mich beschäftigt seit geraumer Zeit vielmehr die Frage: Ist Nichtwissen für eine politische Organisation wirklich sträflich und wie schaut es da bei den „etablierten“ Parteien aus?

Der „Flausch-Faktor“ der Piraten

Immer mehr durch Medien entdeckt, gab es hier und da auch Interviews oder persönliche Auftritte, welche die Piraten als Unwissende und Ahnungslose präsentierten bzw. man den Eindruck gewann, dass diese neue Gruppierung, welche als Partei im politischen Zirkus mitspielen möchte, nicht einmal die Antwort auf vermeintlich einfache Fragen hat. Als Beispiel wird immer wieder gern die Frage nach dem Schuldenstand Berlins vorgebracht.

Einer der Erfolgsfaktoren der Piraten ist offenbar auch, dass Sie offen dazu stehen, bei bestimmten Themen schlicht keine Ahnung zu haben. Ein Fakt, welchen man einer Partei, die den Anspruch hat Landes- bzw. auch Bundespolitik mitbestimmen zu wollen, durchaus als negativ ankreiden kann. Dennoch: schaut man sich die Wahlergebnisse an und schielt etwas auf die Umfragen, so erkennt man, dass dieser Umstand offenbar immer mehr Bürger nicht daran hindert, die Piraten als Partei ernst zu nehmen und auch zu wählen.

Wählerwanderung Piraten Saarland 2012
Quelle: http://wahlarchiv.tagesschau.de

Wie man in der obigen Grafik sieht, kommen die Wähler aus allen politischen Lagern und besonders stark ist der Zuwachs aus den Reihen der Nichtwähler. Ist also die Offenheit und Ehrlichkeit, von vielen Dingen keine Ahnung zu haben, der „Flausch-Faktor“ der Piraten?

Status Quo der „Etablierten“

Die alteingesessenen Parteien, also jene, die schon seit Jahrzehnten die Politik dieser unserer Republik leiten – bzw. politisches Geschehen von der Oppositionsbank mitgestalten – sind diejenigen, welche die „Ahnungslosigkeit“ der Piraten gern als Grund anführen, warum die Piraten-Partei nicht wählbar ist.

Wie oben schon erwähnt kann man diesen Mangel an Wissen über bestimmte (politische) Themen durchaus kritisieren. Wie sieht es in diesem Punkt aber bei den „etablierten“ Parteien aus? Liest man Interviews oder schaut politische Talkrunden, so hat man den Eindruck, Politiker der „alten“ Parteien haben ein fundiertes Grundwissen über alle (politischen) Themen hinweg und wissen auf jede Frage eines Journalisten eine Antwort. Aber ist dies tatsächlich so?

Wenn man das Gesagte genau betrachtet und die Gespräche in politischen Talkshows genau verfolgt, so stellt man fest, dass ganz oft ganz viel geredet, dabei aber ganz oft und ganz viel nicht gesagt wird. Auf konkrete Fragen wird sehr häufig wenig konkret geantwortet, um das Thema herum geredet und im Fazit weiss der geneigte Zuhörer am Ende genauso viel oder wenig wie am Anfang.

Ein Punkt, der mich bei diesen Parteien bzw. deren Politikern eben einfach stört. Sie geben gern vor, zu allen Themen etwas zu wissen und entsprechend handeln und den Bürger vertreten zu können. Dafür soll man sie ja schliesslich wählen.

Aber machen diese Parteien denn tatsächlich Politik für diejenigen, die sie wählen? Machen sie Politik für den Bürger? Irgendwie ja und irgendwie aber auch nicht. Im Wahlkampf aber auch im politischen Alltag wird viel gesagt, was man machen will, wo etwas wie getan werden muss und was dringend verändert/verbessert werden sollte. Es fällt auf, dass sehr oft (wenn nicht sogar ausschliesslich) der Konjunktiv benutzt wird, wenn Politiker etwas offiziell und öffentlich sagen. Die Dinge werden gern so formuliert, dass man immer noch eine Möglichkeit hat, die Hintertür zu nehmen, wenn es denn dann doch anders wird. Verstehen tun das politische Geschehen wohl nur noch die wenigsten Bürger – viele haben es warscheinlich auch einfach aufgegeben, zuzuhören oder es verstehen zu wollen.

Piraten als Vorbild?

In meiner Twitter-Timeline habe ich einige Piraten (aber auch Politiker anderer Parteien), ich lese Blogs, Artikel in Onlinemedien etc. Hierbei kommen auch immer wieder einmal Debatten von Piraten untereinander vor. Ein offener Schlagabtausch, welcher auch schon mal mit härteren Bandagen geführt wird. Hierbei wird offen und für jeden ersichtlich ausgesprochen, was einem stinkt, was nicht gut läuft, was problematisch oder sogar strafrechtlich relevant ist. (Bsp.: hier, hier, hier und hier – letzteres ist mittlerweile leider nur noch für „geladene Lesern“ aufrufbar)

Die Medienlanschaft greift solche Dinge dann natürlich auf (z.B. hier und hier) und sorgt dafür, dass diese Themen und internen (offen geführten) Debatten stärker in die Öffentlichkeit gelangen. Ich persönlich habe sehr lange gefremdelt mit dieser Art des Umgangs untereinander und tue es noch immer. Ich frage mich, warum man nicht einfach den Weg des direkten Gespräches geht, statt etwaige Meinungsdifferenzen und Streitigkeiten öffentlich auszutragen.

Diese Art ist ganz sicher für nicht wenige Bürger irritierend und hinterlässt bei vielen Menschen warscheinlich auch einen schlechten Eindruck. Das vieles von dem, was der „normale“ Bürger über die Medien von der Piratenpartei mitbekommt, Meinungsmache ist und so manches Mal gar nichts mit der Realität gemein hat bzw. die Medien-Aussagen eigentlich gar nichts aussagen hat man mit etwas Augenzwinkern beim Postillon zusammengefasst.

Ist es vielleicht nur einfach so, dass „wir“ es als falsch und einer politischen Partei nicht würdig empfinden, da man es schlicht anders gewohnt ist? Man kennt das Agieren politischer Parteien und Würdenträger seit mehr als 60 Jahren und hat sich an dieses Verhalten angepasst. Nun gibts da plötzlich Dinge, welche dem (geprägten) Bild einer politischen Partei nicht entsprechen und so gar nicht zu dem passen wollen, was wir über Jahre erlernt haben…

Natürlich darf man diese Art von politischem Auftreten der Piratenpartei kritisieren, auch als politischer Gegner. Noch vielmehr sollten sich die „etablierten“ Parteien aber Gedanken darüber machen, warum diese Partei, trotz der Vorwürfe, man habe kein Programm und liefere keine Antworten auf politische Themen und der (fälschlichen) Reduzierung auf die Abschaffung des Urheberrechts, trotzdem weiter an Zuspruch gewinnt.

Allein durch die grössere Basis an Mitgliedern und die Erfahrungen aus Jahrzenten gibt es in den „etablierten“ Parteien viele Mitglieder, die in den unterschiedlichsten Themenbereichen versiert sind. Dieser „Vorsprung“ muss jedoch nicht zwingend etwas bedeuten bzw. ist es sehr warscheinlich, dass er relativ zügig aufgeholt und die „Lücke“ geschlossen wird.

Mit dem Laufe der Zeit, dem Zugewinn an weiteren Mitgliedern und der Erreichung weiterer Sitze in Parlamenten werden sich mMn auch bei der Piratenpartei innere Strukturen bilden (müssen), welche sich stärker an dem bestehenden System orientieren. Man wird im Laufe der Zeit lernen (müssen), sich anzupassen. Das ist normal und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Ich hoffe jedoch, dass man nicht aufhört, bestehende Dinge zu hinterfragen, zu kritisieren und mit neuen Ideen und Methoden versucht, Politik und deren Ansehen bei den Bürgern zu verändern.

Fazit

Wird diese Art der Politik die Lösung bzw. die Zukunft sein? Ich weiss es nicht, aber es ist ein Weg der definitiv eine Chance verdient hat – das bisherige System ist für die wenigsten Bürger noch verständlich und transparent.

Wie für uns, im Gegensatz zur Generation unserer Großeltern, das Internet und die neuen Medien normal sind, so wird für die Generation unserer Kinder und Enkel vielleicht eine neue, transparentere und verständlichere Art der Politik Normalität sein.

In seinem Spiegel-Online Artikel über die Piraten schreibt Stefan Kuzmany (@kuzy) Dinge, die ich etwas differenzierter sehe und sie nicht in jedem Aspekt teile. In einem Punkt gebe ich ihm jedoch Recht:

Wir befinden uns in einem Übergangsprozess. Die Demokratie wird sich durch das Internet verändern, allerdings nur in ihren Methoden, nicht in ihrem Wesen. Die etablierten Parteien wären klug, wenn sie schleunigst die methodischen Ideen der Piraten aufgreifen und integrieren würden – bevor sie rasant noch mehr Zuspruch und Mitglieder verlieren, als das sowieso schon der Fall ist. Sie sollten die Piraten überflüssig machen – oder ihnen gleich geschlossen beitreten, was auf dasselbe hinausliefe.

Die bisherigen Wege und Methoden haben mAn weitestgehend ausgedient und man sollte sich seitens dem polititischen Apparat über neue Wege und Möglichkeiten Gedanken machen. Vor allem bedarf es einer Form von Politik, welche ehrlicher, offener und transparenter ist und auch an Verständlichkeit gewinnt. Denn genau an diesen Punkten mangelt es meiner Meinung nach enorm im aktuellen politischen Betrieb.

Würde ich die Piraten wählen? Im Moment ist hier für mich ein recht klares „Nein“. Was würde ich statt dessen wählen? Eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Denn im Moment liefern mir die „etablierten Parteien genauso viel oder wenig glaubhafte Ansätze die Themen unserer Zeit anzugehen und zu lösen, wie es die Piraten-Partei tut. Vielleicht ist auch genau das der Grund, warum es viele Bürger einfach einmal mit einer Stimme für die Piraten probieren. Das bisherige Wahlverhalten hat nicht die erhofften Ergebnisse gebracht, einen wirklichen Unterschied kann man thematisch bei den „alten“ Parteien nicht sehr deutlich erkennen – man denkt sich: „also versuchen wir es einmal mit etwas Neuem, verlieren können wir ja nichts“.

Manchmal muss man die ausgetretenen Pfade eben verlassen um neue Wege zu gehen.

Nachtrag vom 17.04.2012: Einen sehr lesenwerten Artikel gibt es bei @frau_meike im Blog. Der Artikel „Briefpost an die Piratenpartei“ spricht u.a. auch die offene Diskussion von Interna der Piraten an, welche ich auch kritisiert habe, Meike ist da aber ein kleines bisschen ausführlicher und direkter… ;)


Ich bin mir darüber bewusst, dass im obigen Text Dinge verallgemeinert sind und es auch Politiker in den „etablierten“ Parteien gibt, welche neue, innovative Ideen haben und ebenso ernsthaft Politik machen und dies auch mit dem Ziel, die Politik für den Bürger zu machen und nicht (nur) für die eigene Machtpostion oder Lobbyverbände. Die Verallgemeinerung soll daher keinen beleidigen oder dessen Engagement in Frage stellen sondern vielmehr dazu dienen, meine Gedanken und Sichtweisen zum Thema klarer darzustellen.

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